Gesundheitsversorgung in Bangladesch verbessern

App für medizinische Daten

08.05.2024 von

Während uns in Deutschland mehr als vier Ärzt:innen pro tausend Menschen versorgen, sind es in Bangladesch gerade mal 0,5. Das Team von PrescripAI möchte daher die Versorgung der mehr als doppelt so großen Bevölkerung dort optimieren. Wesentliche Grundlage ist eine App, die die überwiegend handschriftlichen Verschreibungen verarbeitet und damit die Behandlung beschleunigt. Diese Daten sind wiederum für Kunden im Gesundheitssektor von Interesse.

PrescripAI: Das sind Riazuddin Kawsar, Sayeda Samia Nasrin, Mokammel Antik Khan (von links nach rechts) sowie Mukit Binte Jahan und Umme Jobira Ahmad (nicht im Bild).

Die App erkennt die Medikamentennamen aus den Rezepten – und generiert dabei Echtzeit-Daten, die wertvolle Einblicke in den Arzneimittelmarkt und in die Krankheitsanalyse geben. Wie kam es zu der Idee – und wie hat sich das fünfköpfige Team von PrescripAI kennengelernt? Bei dieser Frage zeigen alle aufeinander und versuchen Bekanntheits- und Verwandtheitsgrade zu erklären: Sie sind über mehrere Ecken befreundet und teils sogar miteinander verheiratet – und alle zwischen 2013 und 2021 aus Bangladesch nach Deutschland gekommen.

Die ersten Überlegungen entstanden in Gesprächen zwischen Riazuddin Kawsar, seiner Frau Umme Jobira Ahmad und ihrer Freundin Sayeda Samia Nasrin. Ahma macht ihren Master an der TU im Studiengang Distributed Software Systems und Nasrin ist Masterstudentin im neuen englischsprachigen Studiengang Computer Science.

Kawsar hatte bereits zwei erfolgreiche Start-ups im Bereich Landwirtschaft gegründet: „Ich wollte als nächstes gerne etwas im Bereich Gesundheit machen“. So kamen sie auf die Idee, eine App zu entwickeln, um die Handhabung der handschriftlichen Verschreibungen zu optimieren. „Zu 97 Prozent sind das in Bangladesch schlichte Zettel, die schwer lesbar sind und leicht verloren gehen“. Die App soll die Daten lesbar und vor allem im Handy speichern, damit den Menschen die Informationen zu ihren Medikamenten dauerhaft zu Verfügung stehen. „Die Patienten dort haben keinen Hausarzt, der ihre Geschichte kennt – und ein durchschnittlicher Arztbesuch dauert keine Minute“, erklärt Kawsar. Eine gute Dokumentation wäre also hilfreich für eine effiziente Patientenversorgung.

Kostlose App mit wertvollen Daten

Als das Team von PrescripAi seine Idee Patientinnen und Ärzten präsentierte, stellte sich heraus, dass es in dem südasiatischen Land keine Datenbasis für die medikamentöse Versorgung gibt: Wer wann was und wie häufig einnimmt, ist unbekannt. Dabei ist der pharmazeutische Markt in Bangladesch mit schätzungsweise fünf Milliarden US-Dollar nicht unbedeutend. Die Verschreibungsdaten könnten daher eine wichtige Datengrundlage für das medizinische System liefern. Und damit zeichnete sich eine Geschäftsgrundlage ab: Während die App für die Bevölkerung kostenlos sein soll, sind die Daten ein wirtschaftlich wertvoller Schatz.

Mit dieser Idee bewarb sich das Team im August 2023 bei Hessian.Ai, dem Förderprogramm für KI-Anwendungen. Sie wurden in die Förderung für Start-up-Ideen aufgenommen (Lean AI Startup Funding, LAISF), um ihre Idee zu verifizieren. Innerhalb eines halben Jahres erwuchsen daraus Kontakte zu über 300 Patient:innen und Praxen in Bangladesch. Eine Nutzerumfrage ergab: 94 Prozent der Befragten wünscht sich Hilfe bei der Verwaltung ihrer medizinischen Dokumente und Verschreibungen. „Es gibt einen Markt und interessierte Kunden“, so Mokammel Antik Khan, Wirtschaftsstudent an der Universität Mainz. Er stieß vor zwei Jahren mit seiner Frau, der Epidemiologin Dr. Mukit Binte Jahan, zum Team.

Die meisten Patienten wissen nicht, was sie überhaupt einnehmen.

Riazuddin Kawsar

Ende Mai soll die App online verfügbar sein. Patient:innen müssen nur ein Foto von der handschriftlichen oder gedruckten Verschreibung aufnehmen – und schon tauchen alle Daten auf ihrem Handy auf. Beim nächsten Arztbesuch reicht ein Blick auf diese Informationen, um die Behandlung entsprechend anzupassen. „Die meisten Patienten wissen nicht, was sie überhaupt einnehmen“, erklärt Kawsar. Ohne Hausarzt müssen sie diese Daten selbst sammeln – „und das überfordert die meisten, daher übernehmen wir diese Aufgabe für sie“. Moderne KI-Technologie und eine eigene Medikamentendatenbank wandelt die Verordnungsdaten in eine Diagnose um – wertvolle Informationen für Ärzte, Patienten, Pharmaunternehmen, Krankenhäuser und Nichtregierungsorganisationen.

Ziel von PrescripAI ist es, in den nächsten Monaten mindestens 100.000 Menschen in Bangladesch für die App zu begeistern – das wären 0,05 % aller Bangladeskis. Im Idealfall kommt so eine Million Verschreibungen im Jahr zusammen. Die so gewonnenen Daten wird das Team dann auswerten und Kunden zur Verfügung stellen. Sie beinhalten den Namen des verschriebenen Medikaments, die Häufigkeit und den Zeitraum der Einnahme, Alter und Geschlecht sowie Ort und Datum. „Die Daten sind selbstverständlich anonymisiert“, betont Nasrin. Sie könnten auch Aufschlüsse geben, welche Krankheiten sich wo verbreiten und somit letztlich zur Vorsorge beitragen. So ließen sich etwa Regionen mit Krebsinzidenzen oder Infektionskrankheiten identifizieren und entsprechend Vorsorge und Frühdiagnose darauf ausrichten. Zudem entsteht jeder vierte Medikationsfehler weltweit durch unleserliche Rezepte, was wiederum laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) vermeidbare Kosten von 42 Milliarden Dollar jährlich verursacht.

Beste Vorraussetzungen für Innovationen

Die verschiedenen Mitglieder des Teams decken die Bereiche Medizin, Informatik, Wirtschaft, Technologie bestens ab. „Jeden Sonntag hocken wir bei einer Tasse Tee im Wohnzimmer zusammen und feilen an unserer Idee“, schmunzelt Nasrin. Von HIGHEST kommt hilfreiche Unterstützung: Coach Philipp Travers, der auch für hessian.ai aktiv ist, half bei Planung, Bewerbung und der Entwicklung des Geschäftsmodells. Nun suchen sie nach Partnern in Bangladesch, beispielsweise Influencer:innen, die die App verbreiten helfen.

Sobald die 100.000-Patientenschwelle erreicht ist, will PrescripAI intensiv Firmen und potenzielle Nutzer:innen einbeziehen. Dieses Jahr bewirbt sich das Team für ein EXIST-Gründerstipendium des Bundes als Grundlage für die Selbstständigkeit. „Nächstes Jahr suchen wir dann Kunden, die uns unterstützen und mit denen wir kooperieren können“, hofft Kawsar. Sobald sie Umsatz generieren, wollen sie die App weiter in südasiatische, afrikanische, lateinamerikanische oder auch osteuropäische Länder verbreiten.

Aus seinen vorigen Start-ups habe er die Erfahrung gesammelt, dass es wichtig ist, erst mal die Idee zu validieren, betont Kawsar – gleich mit einem fertigen Produkt aufwarten zu wollen koste unnötig Energie. Nasrin bestätigt diese Erfahrung aus einem früheren Start-up: „Man darf nicht „überkonstruieren“; es ist wichtig, immer wieder mit den Anwender:innen zu sprechen“. Und es sei wichtig, sich regelmäßig zusammenzusetzen, ergänzt Khan.

Beim wöchentlichen Tee träumt das Team schon von den nächsten Gründungsideen. „Darmstadt wird das neue Silicon Valley“, zeigt sich Kawsar optimistisch. Hier gebe es beste Grundlagen, um Innovationen in die Welt zu tragen. Auch Nasrin schwärmt von ihrer neuen Heimat in Darmstadt und übt fleißig Deutsch: „Ich liebe meine Uni!“